Mittwoch, 22. Juli 2009

Montpellier - Stuttgart im Herbst 2005

Einmal mit dem Trampen begonnen, gab es für mich bald keine ernstzunehmende Alternative zu reisen mehr. Dass ich auf mitfahrgelegenheit.de nach jemandem zum Mitfahren suchte, wurde immer seltener, immer häufiger suchte ich eine mögliche Route über die bundesdeutschen Autobahnen und trampte mal hierhin, mal dorthin, mal größere, mal kleiner Strecken, die aber bis dahin alle nicht besonders nennenswert sind.

Als nächste Tramptour eine besondere Erwähnung wert war eine Reise, die mich im Grunde nach Hause nach Stuttgart führte.
Eine ehemalige Studienfreundin war für ein Studienjahr im Ausland nach Montpellier gegangen und hatte mich für Oktober 2005 eingeladen, sie für ein längeres Wochenende besuchen zu kommen. Für den Weg zu ihr suchte ich einen preisgünstigen RyanAir-Flug, der damals von Frankfurt-Hahn aus ging. Die Rückreise hatte ich als Tramp-Versuch durch Frankreich geplant.
Nach Frankfurt kam ich per Mitfahrgelegenheit, von Frankfurt aus nach Hahn mit einer Shuttlebus-Fahrt, die teurer als der Flug war und fast so lange wie dieser dauerte. Auf dem Weg zum Flughafen fand ich auch gleich noch einen damals zukünftigen, jetzt 2009 schon wieder ehemaligen Studienkollegen.
Der Flug nach Montpellier verlief ohne besondere Vorkommnisse. Als ich dort den aus dem Flughafengebäude trat, war das erste Zeichen, dass ich im Süden angekommen war, eine große, breite Palme auf dem Parkplatz:

Gleich vom Flughafen aus wollte ich die französischen Trampverhältnisse auszuprobieren, indem ich mich in die Stadt mitnehmen ließ, und tatsächlich klappte es recht schnell und ich war in Montpellier.
Von der Stadt war ich sofort beeindruckt und hatte auch genügend Zeit, sie auf mich wirken zu lassen, denn meine Studienfreundin war bis zum Abend noch unterwegs und konnte mich erst dann empfangen. Als ich dann bei ihr war, verbrachten wir zwei schöne Tage in der Stadt und am Strand, bei dem auch im Oktober das Wasser noch recht angenehm warm war.
Am dritten Tag schließlich sollte es losgehen. Ich war ein wenig unsicher, aufgeregt, denn Stuttgart war weit. Sollte ich es wirklich tun? Nicht lieber doch einen Rückflug buchen?
Zur Mittagszeit kam ich mit dem Bus so weit wie möglich aus Montpellier heraus in die Nähe der N113 kurz vor Lunel. Nach einer Weile hielt eine Frau an, die mich die wenigen Kilometer nach Lunel hinein mitnahm. Von dort aus ging es wieder ein paar Kilometer aus dem Ort heraus und schließlich stand ich irgendwo auf der Landstraße in einem Dorf, ich meine es war Codognan, und ich dachte nur: GEIL! Ich verspürte zum ersten Mal den Kick, irgendwo im Nirgendwo in einem fremden Land zu stehen, ohne zu wissen, wann ich wo und wie landen werde, wann ich wo und wie schlafen werde, so richtig verlassen in der Fremde ohne Unterschlupf, ohne alles zu sein außer den Dingen, die ich bei mir hatte. Da es ein sonniger Nachmittag war, konnte ich dieses Gefühl richtig schön genießen und ich machte erst einmal ein kleines Picknick am Straßenrand.
Nach einer Weile ging es weiter mit jemandem, der mich bis Nîmes mitnehmen konnte, freundlicherweise sogar bis zur Péage-Station zur A9, aber leider war ich als Tramper noch zu unerfahren als dass ich gewusst hätte, wie ich am besten an so einer Station fortkam und so trug es sich zu, dass ich zum Einbruch der Dämmerung noch in Nîmes war und zu Fuß weiter entlang der N86 in Richtung Ortsausgang ging. Dort nahm mich schließlich jemand mit - es war schon dunkel geworden - und setzte mich in einem kleineren Ort zwischen Nîmes und Avignon ab - in Rekonstruktion der Strecke aus der Erinnerung könnte es Remoulins gewesen sein. Auch dort ging ich zum Ortsausgang, auch wenn es schon 10 Uhr in der Nacht war, hielt den Daumen hinaus und wurde tatsächlich noch einmal mitgenommen von einer Familie, die auf dem Weg nach Avignon war und mich irgendwo im Nordteil der Stadt absetzte - es muss bei Sorgues gewesen sein; in einem späteren Eintrag wird man sehen, wieso ich das zu recht vermute.
An einem großen Kreisel stand ich nun, von dem aus es in Richtung Orange weitergegangen wäre, aber eigentlich war ich zu dieser Uhrzeit schon darauf eingestellt, irgendwo mein Nachtlager suchen zu müssen und auf diesem wirklich großen Kreisel war ein kleines Wäldchen, in dem ich glaubte, Unterschlupf finden zu können. Trotzdem konnte ich mich so schnell noch nicht entscheiden, schlafen zu gehen, und halb schon war ich auf dem Weg unter die Bäume, da kam ein Auto. Ich eilte wieder zurück, hielt meinen Daumen hinaus, aber vergeblich, der Fahrer fuhr vorbei. Also wieder zu den Bäumen, die ich nicht ganz erreicht hatte, als wieder ein Wagen kam und ich wieder einen Versuch startete. Und tatsächlich: Der Fahrer hielt an und ich fragte ihn, ob er in Richtung Lyon fahren würde, denn ich hatte die Hoffnung, dort bei meinem Schüleraustauschfreund Charles unterzukommen. Der Fahrer meinte, er würde nur ein Stück weit Richtung Lyon in etwa bis Montélimar fahren und ich stieg ein. Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich dies bereuen sollte, als er am Steuer einen Joint drehte und ihn auch rauchte, und ich bereute es schließlich doch, als dann auch noch sein Auto streikte und er mit Handy als Taschenlampe am Motor herumfingerte und ich ihm einen Großteil meines Trinkwassers für den Kühler hergab. Schließlich kam noch ein Freund von ihm vorbei und gemeinsam brachten sie das Auto wieder in Gang und wir kamen weiter bis Montélimar.
Dort schließlich wollte ich gleich versuchen, weiterzutrampen, nachdem ich erfahren hatte, wie gut es nachts in Frankreich läuft. Und tatsächlich, wieder ein Fahrer hielt an - inzwischen war es um Mitternacht - der Richtung Genf fuhr und ich stieg ein. Während der Fahrt erklärte er mir, dass er für die Fahrt nach Genf den Weg nicht genau kenne, drückte mir die Karte in die Hand. Wie zum Beweis verfuhr er sich auch erstmal ordentlich in der Stadt, doch schließlich fanden wir den richtigen Weg und ich machte mir im Kopf einen Strich durch Lyon als Ziel und sagte mir, dann eben durch die Schweiz und fuhr mit ihm bis in die Alpen. Nicht ganz bis Genf musste er, sondern in einem Ort kurz vor der Grenze ließ er mich hinaus - ich meine es war Valleiry - nachts am Bahnhof im strömenden Regen. Schirm und Regencape hatte ich dabei und so huschte ich schnell zum Bahnhof, um darin unterzukommen, doch die Tür war verschlossen und der Fahrer inzwischen weitergefahren. Jetzt hatte ich mich so gefreut, dass ich, nach der Frustration, bis zur Dämmerung gerade mal bis Nîmes gekommen zu sein, jetzt doch trotzdem so ein großes Stück voran gekommen war und jetzt sollte ich die restliche Nacht im Regen verbringen müssen? Nein, so hatte ich mir das nicht vorgestellt und so leicht gab ich nicht auf. Der Bahnhof war an sich gut, fand ich. Nur musste man irgendwie nach innen gelangen. Leider waren nicht nur die Türen verschlossen, sondern die gesamte Gleisanlage war eingezäunt, so dass man auch nicht von hinten an das Bahnhofsgebäude kam. Doch nur knapp 200 Meter vom Bahnhof entfernt war ein Bahnübergang, durch den man die Gleisanlage betreten konnte, und schließlich fand ich gegen 2:00 Uhr nachts einen trockenen und windgeschützten Platz für meinen Schlafsack in der Unterführung zwischen zwei Bahnsteigen.
Um 6:00 Uhr morgens öffnete der Bahnhof und die ersten Fahrgäste kamen durch die Unterführung. Hier bot sich mir eine interessante, denkenswerte Erfahrung, die ich vorher so noch nicht gemacht hatte: Natürlich beeilte ich mich, meine Habseligkeiten zusammenzupacken, als die ersten Leute kamen, angefangen vom Schlafsack, denn es war mir etwas peinlich ihnen gegenüber, hier geschlafen zu haben. Drei Leute sahen mich da liegen, und die Blicke, die sie mir zuwarfen, waren nicht gerade wohlwollend, sondern so, dass ich aus ihnen lesen konnte, dass sie in mir einen Obdachlosen Bettler sahen, der für sie ein optisches Ärgernis, einen unerwünschten Gesellen darstellte, und ich fragte mich, ob nicht vielleicht auch ich schon öfters ohne es zu wollen Obdachlose mit solchen Blicken betrachtet hatte.
Der Weg nach Genf war schnell gemacht. Der Weg aus Genf war dafür erheblich schwieriger. Ich marschierte durch die Stadt bald an diesen, bald an jenen Autobahnzubringer für die A1 und musste feststellen, dass das Fortkommen jeweils nicht gut möglich war. Obwohl ich recht früh in Genf ankam, wurde es doch Mittag, bis ich auf die Idee kam, es einmal am Flughafen an der Ausfahrt des Parkplatzes zu versuchen. Gesagt, getan, und schnell war ich wieder unterwegs. Ohne mir genau das Risiko klar gemacht zu haben, fuhr ich mit bis hinter Lausanne zum Relais de Lavaux. Dort machte ich ein schönes Mittags-Picknick in der Sonne mit einem herrlichen Blick auf den Genfer See und stellte dann fest, dass diese Doppel-Raststätte so lag, dass man in beide Richtungen nach Deutschland (zunächst nach Bern) gelangen konnte und jeweils die Fahrer meinten, ich stünde in der falschen Richtung.
Nach zwei oder drei Seitenwechseln fand ich jemanden, der mich bis zur Raststätte bei La Cantine mitnahm und von dort aus ging es mit einem jungen Pärchen Richtung Fribourg und weiter mit jemandem bis nach Basel, von dort aus mit verschiedenen Parteien über Karlsruhe nach Stuttgart, wo ich spät abends ankam.
Insgesamt 15 Parteien, davon über die Häfte französischsprechend, brachten mich so in anderthalb Tagen von Montpellier aus bis zu mir nachhause. Müde und erschöpft, aber durch und durch freudestrahlend und glücklich über diese Tour fiel ich ins Bett und schlief wahrscheinlich so gut wie schon lange nicht mehr.

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